14 Punkte führte Joe Biden bei der letzten Umfrage der New York Times. Ein Vorsprung, der möglicherweise zu groß ist, um ihn je wieder aufzuholen. Trotzdem hat es gerade in Präsidentschaftswahlen immer wieder unglaubliche Comebacks gegeben. Kandidaten, die bereits früh abgeschrieben waren, haben am Ende triumphiert. Das größte dieser Comebacks feierte wohl Harry S. Truman 1948, der mit unfassbar hohem Aufwand für den Wahlsieg gekämpft hatte. 40 Jahre später konnte George H. W. Bush bei der Wahl 1988 mithilfe von schmutzigen Wahlkampftricks einen ebenfalls beinahe hoffnungslosen Rückstand gegen Michael Dukakis noch in einen klaren Sieg drehen.
Die letzten Beiträge über die US-Wahl haben sich mit den Demokraten beschäftigt. Dieser soll beleuchten, warum Donald Trump die Wahl doch noch gewinnen kann und auch einen Rückstand von 14-Prozent-Punkten keine Garantie ist, dass die Joe Biden im November siegreich sein wird.
Hier sind die Gründe, die für Trump sprechen:
1) Shy-Trump Factor
Der Ursprung dieses Effekts kommt eigentlich aus Großbritannien (shy tory factor). Sowohl bei der Wahl zum Unterhaus von 1992 als auch bei der 2015 wurden die Tories in Umfragen massiv unterschätzt. Bei beiden Wahlen sah Labour zuvor wie der knappe Sieger aus. Am Ende konnten trotzdem die Tories triumphieren, Ein Grund dafür war, dass viele Anhänger der konservativen Partei in den Umfragen nicht ihr wahres Wahlverhalten offengelegt hatten. Ähnliches ist bei Trumps erster Wahl 2016 zumindest in manchen Staaten passiert. Nur wenige Tage vor der Wahl sah Hilary Clinton noch wie der sichere Sieger aus und führte in den drei entscheidenden Staaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin deutlich in den Umfragen. Am Ende gewann Trump die drei Rust-Belt-Staaten knapp für sich und konnte die Präsidentschaft für sich entscheiden. Selbst der Vorhersage-Guru Nate Silver hat 2016 am Tag vor der Wahl einen Clinton-Sieg mit 303 Wahlmännerstimmen projiziert.
Auch dieses Mal deutet sich wieder an, dass die Wahl in Michigan und Wisconsin knapper werden könnte, als den Demokraten lieb ist. Sollte Trump die beiden Staaten am Ende doch gewinnen, weil seine Anhänger sich in den Umfragen nicht klar bekennen, könnte er sogar Arizona verlieren und trotzdem Präsident bleiben.
2) Enthusiasm Gap
Zahlenmäßig mag Donald Trumps Anhängerschaft geringer sein, als die von Joe Biden. Aber sie ist wesentlich homogener und trotz seiner Ausfälle in großen Teilen bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen. Die Anhängerschaft der Demokraten ist viel heterogener. Dem Progressiven Teil ist Biden zu alt, zu männlich und zu moderat. Die Minderheiten, die überwiegen demokratisch wählen, haben alle unterschiedlichen Interessen, die man zum Teil nur schwer unter einen Hut bringen kann. In den Vorwahlen hat Biden gezeigt, dass er insbesondere mit drei Wählergruppen ein Problem hat, die bei der Hauptwahl zu wichtigen demokratischen Wählergruppen gehören: Latinos, Progressive und Junge Menschen.
Man kann argumentieren, dass die Stimme eines Wählers, der einen nur mit der Faust in der Tasche wählt, genau so viel zählt, wie die eines Wählers, der aus Überzeugung wählt. Aber jemand der nicht überzeugt von einem Kandidaten ist, überlegt sich vielleicht zweimal, ob er überhaupt zur Wahl geht oder lieber zuhause bleibt. Ein Problem, das Hillary Clinton 2016 im Rust Belt zum Verhängnis geworden ist: Donald Trumps Angriffe haben ihr massiv geschadet und viele demokratischen Wähler sind in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin zuhause geblieben. Wenn Biden es nicht schafft, die Menschen für sich zu begeistern, könnte ihm das gleiche Schicksal widerfahren.
3) Die Demokraten setzen auf das falsche Pferd
Vor der Präsidentschaftswahl 2008 hat SurveyUSA ein Umfrage durchgeführt, bei der verschiedene mögliche Vizekandidaten von Obama auf ihre Wählbarkeit überprüft wurden. Das Ergebnis war, dass Vizekandidaten in wahlentscheidenden Staaten durchaus einen Unterschied machen können.
Dass dieses Mal eine Women of Colour Bidens Vizekandidatin werden dürfte, steht nach dem Rückzug von Amy Klobuchar fast sicher fest. Bei den Kandidatinnen, die wir vor 2 Wochen analysiert haben sind viele starke Frauen dabei. Vor allem die Black Lives Matters Bewegung dürfte Biden feiern, wenn er eine schwarze Frau mit aufs Ticket hebt. Aus wahltaktischer Sicht könnte das aber ein Problem sein, denn Biden hat überhaupt kein Problem mit der schwarzen Wählerschaft, im Gegenteil. Gerade die schwarze Bevölkerung hat Biden bei den Vorwahlen am treuesten unterstützt und ihm maßgeblich zum Sieg verholfen. Zudem sind Minderheiten nicht zwangsläufig progressiv. Um zu gewinnen, braucht Biden aber auch die Stimmen der Progressiven, der jungen Wähler und der Latinos. Hinzu kommt: Schwarze Wähler leben vor allem in den Südstaaten. Diese sind aber aufgrund dem hohen Anteil evangelikaler Wähler traditionell sehr konservativ könnten noch nicht reif für die Demokraten sein, wie sich bereits bei den Midterms 2018 gezeigt hat.
Die letzten Midterms haben auch gezeigt, dass es im Rust Belt eine große Anzahl von demokratischen Wählern gibt, die vom richtigen Ticket 2020 gewonnen werden könnten. Sollten die Demokraten aufs falsche Pferd setzen, könnte ihnen das in den entscheidenden Staaten zum Verhängnis werden und Trump am Ende der Nutznießer sein.
4) Sleepy Joe slips again
Bei seiner ersten Präsidentschaftskandidatur 1988 war Biden in den Umfragen lange Zeit führend. Er musste seine Kandidatur aber zurückziehen, weil er dabei erwischt wurde, wie er bei seinen Reden plagiiert und insbesondere bei den Kennedy-Brüdern und Neil Kinnock geklaut hatte.
Bei den Vorwahlen 2020 hat er sich bei verschiedenen Debatten schlimme Aussetzer geleistet, die ihm medial geschadet haben. Hinzu kommt sein Alter von beinahe 78 Jahren, das manchen Wählern das Gefühl geben könnte, dass er nicht wirklich fit für den Job ist. Am Ende könnten sie doch für das bekannte Übel stimmen und Trump erneut zum Präsidenten wählen.
5) Law and Order Strategie geht auf
Trumps Law and Order Strategie gegen die Black Lives Matter Bewegung ist der letzte Pfeil in seinem Köcher, nachdem die Wirtschaft an den Folgen des Corona-Virus leidet. Aktuell scheint er damit wenig Erfolg zu haben, weil viele Menschen seine Taktik für zu extrem oder zu durchschaubar halten.
Das könnte sich aber insbesondere dann ändern, wenn sich Teile der Bewegung radikalisieren und es beispielsweise zu Ereignissen wie in Seattle kommt, wo mehrere Straßenzüge der Stadt besetzt wurden. Tumulte und Aufruhr könnten den Demokraten insbesondere bei Vorstadt-Wählerinnen schaden. 2008 hat Sarah Palin diese Hockey Mums wie folgt beschrieben: “They say the difference between a hockey mom and a pitbull – lipstick.”
Den Vorstadt-Frauen haben die Demokraten die Rückeroberung des Repräsentantenhauses 2018 maßgeblich mit zu verdanken. Für diese Wählerinnen ist Sicherheit, insbesondere in der eigenen Nachbarschaft, ganz besonders wichtig. Trump könnte mit seinem letzten Pfeil also am Ende doch ins Schwarze treffen.
Bilder: pixabay
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