Als Landesvorstand von Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben wir am Donnerstag beschlossen, dass wir Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufnehmen werden. Unsere 5-köpfige Sondierungstruppe aus Sandra Detzer, Edith Sitzmann, Oliver Hildenbrand, Andreas Schwarz und Winfried Kretschmann hat uns einmütig empfohlen, diesen Weg zu gehen und ein ehrgeiziges Sondierungspapier für die anstehenden Koalitionsverhandlungen und die kommenden 5 Jahre vorgelegt. Ich gehöre diesem Gremium seit 8 Jahren an und gebe zu: Das war die schwerste Entscheidung in der gesamten Zeit.
Auch wenn ich verstehen kann, dass manche über diese Entscheidung enttäuscht sind, habe ich ihr zugestimmt und das auch schon in der Sitzung am Donnerstagvormittag klar signalisiert. Die Enttäuschung von manchen Mitgliedern und Menschen aus der Zivilgesellschaft kann ich nachempfingen, denn mein Bauchgefühl hätte sich anfangs wahrscheinlich eher eine andere Option gewünscht. Deshalb möchte ich hier ausführlich meine Gründe darlegen, damit meine Entscheidung vielleicht nachvollziehbar ist.
Ich glaube die letzten Tage zeigen sehr deutlich, dass wir die Frage nicht auf die leichte Schulter genommen haben und sehr intensiv diskutiert und abgewogen haben. Er zeigt aber auch wie wichtig es ist, alle Faktoren sehr gut abzuwägen, weil man sich sonst schnell in eine Position bringen kann, in der man nicht sein möchte. Wir stehen dabei erst am Anfang eines Prozesses. Die Koalitionsverhandlungen stehen erst noch bevor.
Ich habe versucht, die Entscheidung so rational wie möglich und vor allem im Sinne dieses Landes zu treffen. Für mich sind diese Gründe ausschlaggebend:
1. Amitionierter Klimaschutz
Wir sind in die Sondierungen gegangen mit dem Anspruch eine Koalition zu schmieden, die ambitionierten Klimaschutz in den nächsten 5 Jahren umsetzt. In unserem Wahlprogramm haben wir das in dem Klimaschutz-Sofortprogramm dargelegt. Das war für uns eine Bedingung für den Eintritt in eine Koalition. Die CDU ist bereit dieses Klimaschutz-Sofortprogramm aus unserem Wahlprogramm eins zu eins umzusetzen und ist auch bereit ihre kommunale Verankerung dafür in die Waagschale zu werfen, damit wichtige Dinge, wie beispielsweise der Ausbau der Windkraft im Staatsforst auch umgesetzt werden.
Dazu war die FDP nicht bereit, die insbesondere bei allen ordnungspolitischen Maßnahmen große Bedenken angemeldet hat. Ohne die wird es aber nicht gehen, wenn man in den kommenden Jahren ambitionierten Klimaschutz umsetzen will. Anschaulich zeigt das auch die Pressemitteilung der FDP/DVP-Fraktion vom 1. April: „Wir waren aber nicht dazu bereit, die FDP völlig Regulierungs- und Verbotsvorstellungen der Grünen zu unterwerfen. Wer mit der FDP regieren will, der muss auch liberale Inhalte umsetzen wollen. […] Anders als die FDP hat sich die CDU den Grünen total unterworfen. Am heutigen Tag wird die CDU eine Kapitulationsurkunde unterzeichnen, in der die CDU den Anspruch aufgibt in Baden-Württemberg Volkspartei zu sein.“
Mit einer Ampel wäre also weniger Klimaschutz möglich gewesen, als mit einer Grün-Schwarzen Koalition.
2. Grüne Inhalte können maßgeblich umgesetzt werden
Unsere Sondierungsgruppe hat uns ein Ergebnispapier vorgelegt, das über das Klimaschutz-Sofortprogramm hinaus viele wichtige Punkte aus dem Grünen Wahlprogramm beinhaltet, die die CDU bereit ist, mitumzusetzen. Unter anderem:
- Die Prioritäten unserer Investitionen liegen klar beim Umwelt- und Klimaschutz – teure Wahlkampfgeschenke wie etwa die Absenkung der Grunderwerbssteuer werden nicht gemacht.
- Wir werden einen Neuen Gesellschaftsvertrag mit Landwirtschaft, Handel und Naturschutz auf den Weg bringen.
- In der Flüchtlingspolitik werden künftig in der überwiegenden Zahl der Fälle die Empfehlungen der Härtefallkommission berücksichtigt und danach gehandelt.
- Wir werden eine Cleaningstelle für langjährig Geduldete einrichten mit dem Ziel ihnen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu verschaffen
- Wir wollen ein weiteres Sonderkontingent für Frauen und Kinder aus dem Nordirak auf den Weg bringen.
- Wir werden in der ersten Hälfte der Legislaturperiode das Wahlrecht reformieren und ein Listenwahlrecht einführen
- Ein Antidiskriminierungsgesetz nach dem Vorbild des AGG soll geschaffen werdenZudem wird es eine anonyme Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten geben
Das ist ein großer Verhandlungserfolg unserer Sondierungstruppe, der in einer Koalition mit der Rülke-FDP so voraussichtlich nicht möglich wäre.
3. Verhältnis zur FDP & Corona-Politik
Auch wenn ich verstehen kann, dass eine Ampel-Koalition die Wunschoption von vielen Menschen ist, weil sie mehr Aufbruch signalisiert und ein spannendes bundespolitisches Signal gewesen wäre, bin ich doch etwas erstaunt über die Zuschriften, die mich dazu zum Teil erreicht haben. Da wurde die Ampel als „progressives“ und „fortschrittliches“ Bündnis bezeichnet, mit dem man mehr erreichen könne – ohne den konkreten Inhalt des Sondierungsergebnisses zu kennen. Oft waren das die gleichen Leute, die die BW-FDP vor zwei Wochen noch als „rechtsliberal“, „neoliberal“ oder sogar als „AfD-light“ bezeichnet haben.
Ich habe kein so taktisches Verhältnis zur FDP – im Gegenteil. Ich nehme sie als politische Kraft sehr ernst. Als überzeugter Marktwirtschaftler habe ich persönlich mit der FDP in manchen Fragen vermutlich eine größere Übereinstimmung als andere, die die Marktwirtschaft gerne überwinden würden.
Es hätte sicherlich auch Gründe für eine Ampel gegeben, aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass eine Ampel eine Art Grün-Rotes-Bündnis plus ein bisschen FDP gewesen wäre. In zahlreichen wichtigen Bereichen haben Grüne und FDP sehr unterschiedliche Vorstellungen, insbesondere in der Bekämpfung der Corona-Pandemie und in der Klimapolitik. Hier genießt unser MP als Krisenmanager einen großen Vertrauensbonus bei der Bevölkerung und ist auch für seinen umsichtigen und verantwortungsvollen Kurs gewählt worden. Diesen Kurs in einer der schwersten Krisen unseres Landes fortzusetzen wäre in einer Ampel sehr schwierig geworden. Klar ist auch, egal in welcher Konstellation: Die Grünen sind der Treiber für mehr Klimaschutz, Innovation und Wirtschaft. Glauben wir an uns selbst!
4. Vertrauen
Zuletzt ist ein ganz zentraler Punkt die Frage des Vertrauens. Kann man der CDU vertrauen, dass sie das, was wir jetzt vereinbart haben auch umsetzt? Ich bin ehrlich: Meine Erfahrungen mit der CDU sprechen eher dagegen, allerdings gibt es negative Erfahrungen auch aus der Zeit davor. Auch die SPD hat unter Grün-Rot zweimal den Koalitionsvertrag gebrochen: Beim Wahlrecht oder der Kennzeichnungspflicht. Auch Vertrauens-Frage wäre wahrscheinlich in einer Ampel nicht unbedingt besser, ggf. sogar schwieriger, weil es zwei Partner gibt. Ich finde die Äußerungen von FDP-Fraktionschef Rülke nach der Entscheidung sprechen für sich und zeigen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm sehr schwierig geworden wäre.
Ich habe mich deshalb nicht von meinem Misstrauen gegenüber der CDU leiten lassen, sondern von meinem Vertrauen an unser Verhandlungsteam. Unser fünfköpfiges Sondierungsteam hat uns einmütig die Option Grün-Schwarz vorgeschlagen, weil sie in den Sondierungsgesprächen den Eindruck hatten, dass die CDU verstanden hat, dass eine Neuauflage von Grün-Schwarz kein „weiter so“ ist, sondern eine Regierung mit einem großen und einem kleineren Partner, bei der der größere Partner klar den Takt bestimmt. Ich habe dieses Vertrauen in 5 erfahrene grüne Politiker*innen, die selbst verhandelt haben und das deshalb besser einschätzen können.
Packen wirs an!
Ich habe versucht diese Entscheidung nach einer rationalen und schwierigen Abwägung im Sinne unseres Landes zu treffen. Ich habe mir die Entscheidung sehr gut überlegt und ich weiß, dass es andere Auffassungen gibt, die ich ebenfalls respektiere, so wie ich hoffe, dass auch meine Entscheidung respektiert wird. Ich hoffe, dass wir diese schwierige Woche jetzt hinter uns lassen und gemeinsam nach vorne sehen. Denn die wichtige Arbeit beginnt jetzt mit der Verhandlung eines Koalitionsvertrags und der Umsetzung wichtiger programmatischer Punkte. Also lasst es uns gemeinsam anpacken!
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