Fünf Gründe warum Donald Trump die Wahl noch gewinnen kann…und fünf Gründe warum Joe Biden trotzdem gewinnt.

Morgen ist Wahltag. Eine Wahl, die nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt verfolgt und genau unter die Lupe genommen wird. Bei dieser Wahl steht viel auf dem Spiel:

  • Nimmt die USA nach einem erneuten Wahlsieg von Donald Trump weitere autokratische Züge an?
  • Oder schaffen die Staaten mit Joe Biden wieder die Trendwende zu mehr Demokratie und Multilateralismus?
  • Wird Donald Trump eine mögliche Niederlage akzeptieren?
  • Wie geht die tief gespaltene amerikanische Gesellschaft mit einem Ergebnis um, dass einer großen Minderheit nicht gefallen dürfte?

Bevor wir uns mit diesen Fragen beschäftigen können, müssen wir aber fragen: Wer wird diese Wahl am Dienstag gewinnen? Hier soll aufgezeigt werden, welche Grüne doch noch für einen Sieg von Trump sprechen könnte und warum Joe Biden am Ende trotzdem die besseren Chancen hat, diese Wahl zu gewinnen.

Fünf Gründe warum Trump noch gewinnen kann…

1) Der Rally Meister

Durch die Corona-Pandemie und seine eigene Erkrankung war Präsident Trump für eine Weile lahmgelegt. Zum Endspurt dieses Wahlkampfes hält er aber wieder zahlreiche seiner Rallys ab. Meist vor großen Menschenmengen ohne Corona-Abstandsregeln und ohne Masken. In Omaha, Nebraska ist das zuletzt deutlich nach hinten losgegangen.

Trotzdem erreicht er so Tausende seiner Anhänger in wichtigen Swing-States und schafft es, sie mit seiner Rhetorik einmütig hinter sich zu scharen. Die rege Presseberichterstattung tut ihr Übriges. In Sachen Wahlkampftermine und Menschen, die zu seinen Rallys kommen, hat er einen deutlichen Vorsprung gegenüber Herausforderer Joe Biden. Der Demokrat macht deutlich weniger Präsenz-Veranstaltungen, die zudem eine wesentlich geringere Zuschauerzahl haben und unter Corona-Hygieneauflagen stehen. Das könnte Präsident Trump auf der Zielgeraden einen entscheidenden Vorteil bringen, der ihm am Ende einen knappen Wahlsieg beschert.

2) „Red Wave“ am Wahltag

Immer wieder haben die Republikaner und Donald Trump Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Briefwahl vorgebracht. Zudem hat Donald Trump den Postmeister angewiesen, die Versendung von Briefen zu verlangsamen, damit sie möglichst nicht rechtzeitig vor dem Wahltag bei den Behörden ankommen. Bewiesen konnten diese Zweifel nicht. Das alles hat einen anderen Hintergrund: Der Briefwahlanteil ist unter Wähler der Demokraten in der Regel deutlich höher.

Präsident Trump und die Republikaner beschwören ihre Anhänger, dass es eine „Red Wave“ am Wahltag geben wird. Sie sind sich sicher, dass die republikanischen Wähler alle am Wahltag wählen gehen und dadurch der Vorteil, den die Demokraten beim Early Voting haben, noch aufwiegen. Bisher haben bereits über 90 Millionen Amerikaner gewählt. Die Trump-Kampagne behauptet aber, sie hätte vor allem in den entscheidenden Rust Belt Staaten ein deutlichen Vorteil im Ground Game. Wenn es am Wahltag eine Red Wave gibt, könnte der Vorsprung der Demokraten beim Early Voting noch aufgeholt werden.

3) It’s the economy stupid

„On Election Day you choose between a super Trump-Recovery or a super Biden-Depression,” schwört Präsident Trump seine Anhänger bei seinen Rallys ein. Dahinter steckt die alte Weisheit von James Carville: “It’s the economy, stupid“. Es geht um die Wirtschaft: Derjenige, dem die Wähler die höhere Wirtschaftskompetenz zutrauen, hat am Ende gute Chancen die Wahl zu gewinnen. Fragt man nach der Wirtschaftskompetenz liegen beide Kandidaten Kopf an Kopf – sowohl landesweit als auch in den entscheidenden Swing States.

Den Wirtschaftseinbruch Mitte des Jahres schreibt Donald Trump alleine der Corona-Pandemie zu. Einen Wirtschaftsaufschwung nach dem Ende der Pandemie hat er zuletzt zu seinem Top-Thema gemacht. Helfen könnten ihm dabei die Wirtschaftszahlen aus dem 3. Quartal, die kürzlich veröffentlich wurden und wieder ein deutliches Wachstum zeigen. Außerdem erklärt die absolute Mehrheit der U.S. Bürger, dass es ihnen wirtschaftlich besser geht als zu Trumps Amtsantritt. Das hat in den letzten 40 Jahren kein Präsident geschafft. Auf der Zielgerade könnte sich das an der Wahlurne auszahlen und ihm doch noch einen knappen Sieg bescheren.

4) Die Umfragen sind falsch

2016 lässt grüßen. Kurz vor dem Wahltag führte Hillary Clinton relativ deutlich landesweit und auch in den entscheidenden Swing States. Kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, dass Donald Trump in Michigan und Wisconsin gewinnen könnte. In Wisconsin führt Clinton 2016 mit 6,5 Punkten im Schnitt – am Ende gewann Trump knapp. In Michigan lag sie mit 3,4 Punkten vorn – auch hier gewann Trump am Ende mit 10.000 Stimmen Vorsprung.

Bidens Vorsprung in Michigan ist größer als der von Hillary Clinton, aber in Wisconsin liegt er mit einer ähnlichen Mehrheit vorne. Die Umfragen könnten auch dieses Mal falsch sein und Trump am Ende der lachende Sieger sein. Sollte Trump in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin am Ende doch gewinnen, weil seine Anhänger sich in den Umfragen nicht klar bekennen oder die Institute anere Fehler bei der Erhebung gemacht haben, könnte er sogar Arizona verlieren und trotzdem Präsident bleiben.

5) Alte Obama-Koalition hält nicht – die Trump-Koalition ist stärker

Ein Grund warum Hillary Clinton 2016 nicht gewonnen hat, war, dass sie die alte Obama-Koalition aus jungen Wähler, Minderheiten und Frauen nicht in dem Maße zusammen halten konnte wie Obama vor ihr. Vor allem die jungen und schwarzen Wähler haben ihr Wahlrecht 2016 nicht in dem Maße wahrgenommen, wie noch 4 Jahre zuvor. Bei Jungwählern hat Biden ähnliche Probleme wie Clinton: Er ist ihnen nicht progressiv genug. Zwar hat er ähnlich gute Werte bei der schwarzen Wählerschaft wie Obama vor ihm, seine zweite „Schwäche“ ist eher bei den Latinos. Das hat sich bei den Vorwahlen schon gezeigt und zeigt sich jetzt insbesondere in Florida. In den wichtigen Battleground Staaten führt Joe Biden bei den Latinos nur mit 17 Punkten (54 zu 37). Das könnte ihm insbesondere in Florida und Arizona zum Verhängnis werden.

Zahlenmäßig mag Donald Trumps Anhängerschaft geringer sein, als die von Joe Biden. Aber sie ist wesentlich homogener und trotz seiner Ausfälle in großen Teilen bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen. Sollten Teile der (eigentlich) demokratischen Basis wieder nicht wählen gehen, könnte Donald Trump am Ende erneut triumphieren.

… fünf Gründe warum Biden am Ende trotzdem gewinnt.

1) The LBJ Factor

Das Lincoln Project, moderate Republikaner und unabhängige Wähler haben sich hinter Joe Biden versammelt. Trumps aggressive und extreme Art und seine Missachtung der Corona-Krise hat sie in die Arme der Demokraten getrieben.

Eine ähnliche Situation gab es nach dem 2. Weltkrieg schon einmal: Bei der Präsidentschaftswahl 1964. Damals ist der moderate, beliebte Präsident Lyndon B. Johnson zur Wiederwahl angetreten. Sein Gegner war der erzkonservative Senator aus Arizona, Barry Goldwater. Goldwater war für konservative Wähler so etwas wie ein Popstar. Sein Buch „Das Gewissen eines Konservativen“, indem er seine politischen Grundüberzeugungen niedergeschrieben hatte, war Anfang der 1960er Jahre ein Bestseller. Goldwater hatte eine sehr enthusiastische eigene Basis. Sein Problem war: Diese Basis war eine deutliche Minderheit, die überwältigende Mehrheit der Wähler war von seiner aggressiven und radikalen Rhetorik abgeschreckt. Bei der Wahl wurde LBJ erdrutschartig wiedergewählt.

Die aktuelle Situation erinnert ein bisschen an die Wahl von 1964. Joe Biden ist immerhin der viertbeliebteste noch lebende Demokrat nach Jimmy Carter, Barack Obama und Bernie Sanders. Seine Basis ist stabil während bei Trump wichtige Teile seiner Basis wegbrechen. Bidens Chancen zu gewinnen sind gut.

2) Early Voting: Hohe Wahlbeteiligung nützt den Demokraten

Über 90 Millionen Amerikaner haben bereits ihre Stimme abgegeben, egal ob per Brief oder vorab in der Wahlkabine – ein Rekord. Dem generell steigenden Briefwahl-Trend hat die Corona-Pandemie nochmal einen Schub verpasst. In Texas und Hawaii haben bereits jetzt mehr Menschen abgestimmt, als bei der Wahl 2016. Eine höhere Wahlbeteiligung nutzt in der Regel den Demokraten.

Landesweit und auch in den wichtigen Swing States führen die Demokraten beim early voting klar. In Pennsylvania, dem wahrscheinlich wichtigsten Staat für diese Wahl, haben bereits eine Million mehr registrierte Demokraten als Republikaner ihre Stimme abgegeben. In Michigan haben bereits jetzt fast 3 Millionen Menschen abgestimmt – die Republikaner sagen selbst, dass sie keine Chance haben den Staat zu gewinnen, wenn die Wahlbeteiligung auf über 5 Millionen steigt. In manchen Staaten, wie New Mexico, dürfte die Wahl bereits jetzt zugunsten der Demokraten entschieden sein.

Diese Stimmen, die die Demokraten bereits jetzt auf der Bank holen, können die Republikaner vielerorts kaum mehr einholen. Ein klarer Vorteil, der Biden wahrscheinlich über die Ziellinie retten wird.

3) It’s not the economy this time

Normalerweise stimmt der Satz von James Carville über die Wirtschaft. Dieses Mal allerdings nicht. Bei einer Gallup-Umfrage im September sagten nur 9 Prozent der Amerikaner, die Wirtschaft sei dieses Mal das entscheidende Thema. Dieser Wert ist zuletzt wieder angestiegen, er liegt trotzdem noch deutlich hinter dem bestimmendem Thema dieses Wahlkampfes zurück: Die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Nimmt man die gesamten drei Punkte von James Carville, die er in Bill Clintons Wahlkampf-Hauptquartier in Little Rock aufgehängt hat, passt es wieder:

1. Change vs. more of the same.

2. The economy, stupid

3. Don’t forget health care.

James Carville, Little Rock, AR, 1992

Die Gesundheitsfürsorge spielt in der Corona-Krise eine ganz entscheidende Rolle. Hier hat die deutliche Mehrheit der Amerikaner ein größeres Vertrauen in Joe Biden und die Demokraten. Bei der Frage wer für eine bessere Gesundheitsfürsorge steht, nennen 65 Prozent der Amerikaner Joe Biden, bei der Frage wer die Corona-Krise besser bewältigen wird, sind es sogar 82 Prozent. Am Ende wird sich Carvilles 3-Punkte-Plan wahrscheinlich doch noch als wahr erweisen und Biden deshalb gewinnen, weil er beim wichtigsten Thema dieser Wahl mit Abstand die höchste Glaubwürdigkeit hat.

4) Klare Führung bei den Umfragen

2016 lag Hillary Clinton in den Umfragen deutlich vorne – landesweit mit etwa 3,5 Prozentpunkten. Den Popular Vote hat sie am Ende mit 2,1 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen (48,2 zu 46,1 Prozent). So weit daneben lagen die landesweiten Umfragen also nicht. Verloren hat sie die Wahl nicht bei den Wählerinnen und Wählern, sondern im Electoral College.

Dieses Mal ist die Lage eine andere. Biden führt landesweit viel deutlicher – mit fast 8 Prozentpunkten vor Trump.  Er führt auch deutlicher in den drei wichtigsten Swing States Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Damit Trump noch den Turnaround schafft, müssten die Umfragen also sehr deutlich daneben liegen. Dagegen spricht auch, dass die Umfrageinstitute aus ihren Fehlern von 2016 gelernt haben und entscheidende Dinge verändert haben. 2016 wurde beispielsweise unterschätzt, wie sehr der Bildungsgrad Einfluss auf das Wahlverhalten hatte. Das wurde von den Umfrageinstituten korrigiert und ist in den neuen Umfragen eingespeist.

Ein weiterer Unterschied zu 2016 ist die Beliebtheit der Kandidaten. 2016 traten die beiden unbeliebtesten Präsidentschaftskandidaten aller Zeiten gegeneinander an. Mit seinen pausenlosen Attacken hatte Präsident Trump es geschafft, sie auf sein Beliebtheits-Niveau runter zu ziehen.

Biden hat dieses Problem nicht. Er gehört zu den beliebtesten Politikern des Landes. Trumps Attacken haben daran kaum etwas geändert. Deshalb spricht vieles dafür, dass die Umfragen dieses Mal genauer sind und Joe Biden seinen Vorsprung ins Ziel bringen kann.

5) Die Obama-Koalition ist tot –  es lebe die neue Biden-Koalition

Die Koalition, die Obama zweimal zum Wahlsieg geführt hat, wurde oben bereits erwähnt. Diese Koalition hat 2016 aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert. Obwohl die Wahlbeteiligung bei jüngeren Wählern wohl wieder etwas steigen wird, deutet einiges darauf hin, dass die alte Obama-Koalition so bei dieser Wahl auch nicht halten wird.

Das dürfte aber für Biden kein Problem werden, denn er kann voraussichtlich eine neue Koalition schmieden, die ihm zur Mehrheit verhilft. Neben einer starken Basis bei der schwarzen Wählerschaft, hat Biden auch gute Zustimmungswerte bei Senioren, beispielsweise in Central Florida, wo einige Senioren Trump aufgrund seines schlechten Managements in der Corona-Krise den Rücken kehren. Eine zweite wichtige Wählergruppe, die Biden voraussichtlich für sich entscheiden kann sind Frauen aus Vorstädten. Diese haben den Demokraten vor allem zu wichtigen Siegen bei den Midterms 2018 verholfen. Umfragen zeigen, das Biden bei unabhängigen Wählern und Wählern aus der Arbeiterschicht verhältnismäßig besser abschneidet als Hillary Clinton.

Diese neue, vielfältige Biden-Koalition ist sowohl im Rust Belt als auch im Sun Belt mehrheitsfähig. Wenn sie zusammenhält, dann wird Joe Biden einen überzeugenden Wahlsieg einfahren.

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