Ein Land auf der Suche nach sich selbst

Ein Reisebericht – erster Teil

„It‘s a Battle for the Soul of America“ war die zentralen Botschaften von Joe Biden in seinem Präsidentschaftswahl 2020. Je mehr Zeit ich wieder in diesem Land verbringe, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass diese Schlacht gerade in vollem Gange ist und das Land so sehr mit sich selbst ringt.

In welchem Amerika wollen die Menschen leben? In einem der Nobelpreisträger oder der Bibeltreuen? In einem der Supersportler oder der Fast-Food-Fans? In einer Supermacht, die die Anführerin der freien Welt ist, oder einem Land, dass sich vor der Welt zurückzieht? Diese Gegensätze könnte man wohl noch endlos fortführen – und je nachdem, wen man fragt, würde man völlig unterschiedliche Antworten darauf erhalten.

Bevor die heiße Wahlkampfphase für die Präsidentschaftswahl beginnt, habe ich wieder einige Zeit stateside verbracht und Eindrücke von ganz verschiedenen Menschen gesammelt. Mehrfach werde ich überrascht und muss auch Vorurteile über Bord werfen. Eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump wäre für uns Europäer eine Katastrophe. Aber ich muss auch zugeben, dass ich bisher ein Skeptiker war, was die Person von Kamala Harris anbelangt. Bringt sie wirklich die Qualitäten mit, um diese Wahl zu gewinnen? Beeindruckt hat mich, wie schnell sie es geschafft hat, die Partei zu einen. Selbst Nancy Pelosi, die nach dem Rückzug von Biden für einen offenen Contest um die Nachfolge war, weil sie vermutlich ähnlich skeptisch war, unterstützt sie nun öffentlich.

Nach dem Attentat auf Donald Trump und der schwachen ersten Debatte von Biden, war ich fest davon überzeugt, dass die Republikaner die Wahl gewinnen würden. Jetzt ist der Ausgang wieder völlig offen. Einige Zweifel bezüglich der demokratischen Präsidentschaftskandidatin bleiben dennoch: Da war diese völlig verkorkste Kandidatur 2020, die sie noch vor der ersten Vorwahl aufgeben musste, ihr Profil als Vizepräsidentin ist kaum ausgeprägt im Vergleich zu starken Veeps, wie Al Gore oder Dick Cheney, und ihre öffentlichen Auftritte in der Vergangenheit waren oft unauthentisch und abgehoben. Zumindest letztes hat sich geändert. Sie hat deutlich an Format gewonnen.

Democratic National Convention, Chicago, Illinois

Während meiner Zeit in den USA findet die DNC in Chicago statt: 4 Tage voller Reden, Show und Spektakel. Hier nominieren die Demokraten ihr Ticket für die Präsidentschaftswahl, hier setzen sie den Ton für den Wahlkampf. Diese Conventions sind oft Orte an denen große Karrieren begonnen haben und Nobodys zu Rising Stars aufgestiegen sind.

Klar wird bei Parteitag in Chicago folgendes:

  • Die Demokraten stehen geschlossen hinter ihrem Ticket. Rednerinnen und Redner von allen Parteiflügeln stellen sich klar hinter Harris/Walz – und auch einige Republikaner unterstützen sie.
  • Der Enthusiasm Gap, der vor einem Monat noch deutlich zugunsten der Republikaner ausgefallen ist, ist geschlossen. Die eigene Anhängerschaft hat große Lust für die Kandidatin zu stimmen und zu kämpfen. Das untermauern auch zahlreiche Umfragen.
  • Die ersten Botschaften sind gesetzt. „We are not going back“ ist Kamala Harris Losung an die Wähler und Tim Walz bezeichnet Trump/Vance als merkwürdige Menschen („weird people“), die mit dem Durchschnittsamerikaner nichts gemein haben.
  • Die Mobilisierungsthemen der Demokraten sind ihre klassischen Wahlkampfschlager: Abtreibung, Wirtschaft, Gesundheitsfürsorge, Minderheitenrechte.
  • Obwohl sie der aktuellen Regierungspartei angehört, wirkt Kamala Harris wie die Change-Kandidatin und nicht wie eine amtierende Vizepräsidentin. Das mag auch daran liegen, dass die politische Landschaft der letzten Jahre von über 70-jährigen Männern und Familiendynastien bestimmt wurde. Es könnte ein Vorteil sein: Bei 3 der letzten 4 Präsidentschaftswahlen hat der Kandidat gewonnen, der am meisten für Veränderung stand.
  • Interessanterweise feiert der linke Flügel die Nominierung vom Tim Walz als Vizekandidat am stärksten, obwohl er eher zum moderaten Flügel gehört. Das liegt sicher auch an den Alternativen und daran, dass der stärkste Konkurrent Josh Shapiro manchen linken Pro-Palästina-Aktivisten zu hawkish ist.
  • Trump wirkt in seiner Erwiderung bislang völlig hilflos. Er hat sich auf einen Wahlkampf eingestimmt, bei dem er die Schwächen von Joe Biden und seine Eignung fürs Präsidentenamt in den Fokus stellen kann. Gegen eine Kandidatin Harris hat er noch keine wirksamen Botschaften gefunden. Das Momentum ist aktuell auf der Seite der Demokraten.

New York City, New York

In New York City treffe ich Juan. Er ist 24, kommt aus Zentralamerika, studiert Marketing und engagiert sich für die Demokraten im lokalen Wahlkampf, obwohl er selbst mangels Staatsbürgerschaft nicht wählen kann. Sein Enthusiasmus fasziniert mich. Er ist euphorisch, was die neue Aufstellung der Demokraten anbelangt. Kamala Harris und Tim Walz viele Themen auf, die ihm selbst sehr wichtig sind. Politisch ordnet er sich eher beim linken Flügel der Demokraten ein – AOC ist sein großes Idol, wie viele aus der Gen-Z.

Ich bin etwas erstaunt darüber, was ihn dazu bewegt, sich so im Wahlkampf in New York zu engagieren. Er erklärt mir, dass er gerne nach dem Studium in den USA bleiben möchte. „I will do anything to fuck Donald Trump.“ Das geht sogar soweit, dass er keine Cola Light trinkt, weil der Lieblings-Softdrink von Trump ist.

Ich frage ihn, wie viel Sinn es hat, in New York überhaupt Wahlkampf zu machen, denn die 28 Wahlmännerstimmen werden die Demokraten sicher gewinnen. Juan geht es vor allem um die Mehrheit im Kongress. Die Wahlen zum Senat und House of Representatives finden zeitgleich statt. Bei der Neueinteilung der der Wahlkreise fürs House, waren die Demokraten letztes Mal zu gierig, was zur Folge hatte, dass 10 der 26 House-Sitze aus New York an die Republikaner gingen. Dieses Mal haben sie die Wahlkreisgrenzen zu ihren Gunsten leicht verändert und sich zum Ziel gesetzt den Republikaner die Hälfte der New Yorker Sitze wieder abzujagen. Just erklärt mir, dass die Stimmung vor wenigen Wochen noch katastrophal gewesen sei und sich das komplett geändert habe. Viele seiner Freunde wollen nun aktiv Wahlkampf machen.

Riverside, Iowa

Nach Iowa habe ich es diesmal nicht geschafft. Zu lange und zu umständlich ist die Anreise dorthin und wirklich spannend wird die Wahl im Hawkeye Staat voraussichtlich nicht. Donald Trump hat ihn 2016 mit 9 Punkten und 2020 mit 8 Punkten Vorsprung gewonnen. Aller Voraussicht nach, wird er auch diese Jahr die 6 Wahlmännerstimmen gewinnen.

Ein paar Vibes aus den Heartlands will ich aber mitnehmen und telefoniere deshalb mit Farmer Larry. Ich habe ihn 2015 kennengelernt. Larry ist ein Century-Farmer, der auf seinem riesigen Hof vor allem Genmais anbaut. Mittlerweile ist er Ende 70 und seine Söhne haben den Großteil der Arbeit übernommen. Larry ist ein konservativer Blue-Dog-Democrat, der für eine Periode im Iowa State House saß (sowas wie der Landtag von Iowa). 2016 hat er bei der Präsidentschaftswahl nicht gewählt, weil er weder Donald Trump, noch Hillary Clinton unterstützen wollte, 2020 hat er für Joe Biden gestimmt.

Ich frage ihn, wie er das aktuelle Ticket der Demokraten beurteilt und erhalte eine eher skeptische Antwort. Tim Walz sei ein anständiger Mensch („decent man“) aber bei Kamala Harris ist er skeptisch. Sie interessiere sich nicht wirklich für Menschen wie ihn. Außerdem stößt ihm etwas sauer auf, wie die Partei mit Biden umgegangen sei. Im Fokus seiner Kritik stehen dabei Nancy Pelosi und die Obamas, die seiner Meinung nach Biden abgesägt hätten. Ich will wissen, wen er denn dieses Jahr wählen wird. „I won‘t support Donald Trump.“ Da ist er klar. Aber er weiß noch nicht, ob er für Kamala Harris stimmen will. Schelmisch meint er dann noch, dass das wahrscheinlich sowieso nicht viel ändern werde, weil Iowa ohnehin an die Republikaner gehe.

Philadelphia, Pennsylvania

Wenn eine Drohne über die USA fliegen würde um die Präsidentschaftswahl zu übertragen und einen Suchscheinwerfer auf einen einzigen Staat richten müsste, wäre das 2024 wohl Pennsylvania. Die 19 Wahlmännerstimmen aus dem Keystone State sind zumindest für die Demokraten die Grundvoraussetzung, um überhaupt einen realistischen Pfad zum Sieg zu haben. Auf den ersten Blick scheinen die Chancen gut zu stehen: Der Gouverneur und die beiden Senatoren gehören der Demokratischen Partei an und die Mehrheit der Kongressabgeordneten auch. Doch das Bild ist trügerisch: Die Ergebnisse waren oft denkbar knapp und 2016 hat Donald Trump hier schonmal überraschend gewonnen.

„Beetween Philadelphia and Pittsburgh, Pennsylvania is Alabama without the blacks. The State has the second-highest concentration of NRA members behind Texas,“ so beschrieb James Carville, einer der führenden politischen Berater von Bill Clinton die politische Landschaft Pennsylvania. Mittlerweile gibt es sogar einen Begriff dafür: Pennsyltucky. Dahin möchte ich mich in die nächsten Tage auch wagen.

Zuerst geht es nach Philadelphia. An einem Freitag Nachmittag sitze ich an der Hotelbar mit einem schönen Blick auf Downtown Philly. Ein DJ spielt eine seltsame Mischung aus Lounge Musik und alten Disco-Hits von Olivia Newton-John und Donna Summer. Als Spezialität des Hauses wird hier eine Mezcal Margarita und Tacos angeboten. Ich bestelle mir eine und komme schnell mit dem Barkeeper ins Gespräch. Sein Name ist Max Reinhardt, wie viele andere Menschen in Pennsylvania hat er deutsche Wurzeln, war aber selbst nie in Europa. Nach ein bisschen Smalltalk frage ich ihn nach seiner Meinung zu den Präsidentschaftskandidaten. Er hasst Donald Trump. Das sagt er mir sofort als erstes. Er wählt eigentlich immer die Demokraten, hat aber die Wahl 2016 „ausgesessen“ – genau wie Farmer Larry. Als Grund dafür nennt er mir, dass er die Familiendynastien satt hat und nie mehr für einen Clinton, Bush oder Trump stimmen wird. Das jetzige demokratische Ticket findet er interessant. Wahrscheinlich wird er für Harris/Walz stimmen. Aber er sagt mir auch, dass die beidem ihm noch einen Grund liefern müssen, sie zu wählen. Kurze Zeit bringt Kamala ihren Plan ein, dass Tips künftig steuerfrei sein sollen und ich muss sofort an dieses Gespräch mit dem Barkeeper denken. Ursprünglich stammt die Idee von Donald Trump, aber Harris hat sie kopiert und damit vielleicht einige neue Wähler für sich gewonnen.

West Chester, Pennsylvania

Am nächsten Tag fahre ich weiter in die Vorstädte. In West Chester, einer Studentenstadt etwa 30 Minuten westlich von Philly, esse ich in einem Einkaufszentrum ein Sandwich zum Mittagessen. Dabei laufe ich Abbey und Joshua über den Weg, die beide mit blauen T-Shirts unterwegs sind und Menschen dabei unterstützen, sich als Wähler zu registrieren. Sie erklären mir, dass die Demokraten mit großer Mehrheit in Philadelphia, Pittsburgh und den Color Countys (Vorstädte von Philadelphia) gewinnen müssen, um die republikanischen Wähler auf dem Land aufzuwiegen.

Joshua hat alle Zahlen parat und rechnet mir vor, dass es in Pennsylvania aktuell 365.000 mehr registrierte Demokraten gebe, als Republikaner. Aber die Zahl sei trügerisch. Sie seien oft schwerer zur Wahl zu motivieren, als Republikaner. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung haben die Republikaner in Pennsylvania immer wieder gewinnen können, zuletzt 2014 und 2016.

Neue Wähler sind oft motivierter an der Wahl teilzunehmen. West Chester ist für die Demokraten ein ganz besonderes Filetstück: Hier gibt es einerseits viele junge Menschen, die noch gar nicht registriert sind und tendenziell eher die Demokraten wählen. Andererseits leben hier viele Studenten, die bereits in einem anderen Staat registriert sind. Die wollen Abbey und Joshua überzeugen, sich nach Pennsylvania umzumelden, wenn sie nicht aus einem anderen Swing State stammen. Denn eine Stimme fürs Blaue Team in Pennsylvania hat bei dieser Wahl ein viel höheres Gewicht, als eine in Kalifornien.

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